Er ist also mal wieder im Gespräch, der Sexismus. Auf der Anklagebank sitzen aber nicht die sexistischen Nutznießer kurzer Röcke und zeigefreudig betonter Kurven, nein, der Vorwurf ereilt eben jene Fräuleins, die ihre Zeigefreudigkeit als Zeichen weiblichen Selbstbewusstseins definieren und dem Sexismus damit die Argumentationsgrundlage entziehen.
(C) Eva Hillreiner, www.evahillreiner.de
Da muss was schief gegangen sein mit der sexuellen Freiheit, wenn sich vor allem junge Dinger dieser Freiheit gemäß ausschließlich aufs lasziv und halbnackt posieren verstehen, unbedingt proporno sind und Striptease als Gymnastikkurs im Fitnessstudio belegen – Männer jedenfalls können sich zu den willig bereit stehenden Wichsvorlagen beglückwünschen.
Oder, wie die britische Autorin Natasha Walter in ihrem Buch „ Living Dolls“ die Diskussion in Schwung bringt, opfern zahlreiche Frauen mit künstlichen Fingernägeln, operierten Brüsten und Extensions im Haar diese Freiheit längst einer auf den heterosexuellen Mann ausgerichteten Stereotypisierung, dessen, was sexy sein soll.
Denn im Ernst, ist „sexy sein“ wirklich etwas, dass wir bei H&M kaufen oder uns ins Gesicht malen können?
Natürlich haben wir jetzt alle so ein aufgedonnertes Frauenbild vor Augen, aber ich finde es weniger ein Problem, mich sexy zu geben, wenn ich mich danach fühle und das entsprechend beachtet wird, als wenn ich einen Rock und Stiefel aus Alltagsbequemlichkeit trage und plötzlich ebenfalls von allen Seite angeflirtet werde. Denn ich trage einen roten Lippenstift auch mal, weil ich Lust darauf habe und stelle regelmäßig fest, dass es ein besonderer Tag sein muss, wenn alle Männer plötzlich so hilfsbereit und freundlich sind, bis mir einfällt, dass es nicht am Sonnenschein liegt, sondern an einem vermeintlich erotischen Signal meinerseits. Andersherum ist es extrem frustrierend an anderen Tagen, die ich in Schlabberpulli, Jeans und mit ungeföhnter Frisur verbringe, vollends ignoriert zu werden. Aber Schönheit bestimme ich nach meinem Empfinden, und ich will nicht von Fremden daran erinnert werden, dass weibliche Attraktivität in dieser Gesellschaft auf hohen Hacken balancieren muss.
Wie schwierig muss es also für junge Frauen sein, wenn sie nur Akzeptanz nur über ein stereotypes Äußeres erfahren?!
Die „Hypersexualisierung“ der Gesellschaft sei als Zeichen der weiblichen Emanzipation und Macht verstanden worden, sagt Walter. Tatsächlich aber sei sie nicht nur verwurzelt in fortschreitender Ungleichheit, sondern produziere noch mehr Ungleichheit, greift auch die FAZ Walters Thesen auf.
Das heißt, vor allem junge Frauen definieren sich ausschließlich über ein sexuelles Selbstbewusstsein, das keinesfalls auf Erfahrung und Erforschung eigener Bedürfnisse beruht, sondern sich schlicht an dem Unterwäscheplakat an der Bushaltestelle orientiert – im besseren Fall; im schlimmeren anhand dessen, womit Frauen es heute meistens in die Medien schaffen: Sey Sexy Sexy. Und das sei, laut Walter, ein weiterer Rückschritt, den Körper als Eintrittskarte zum Erfolg zu sehen. Obendrein „mit einer sehr verengten Sicht darauf, was es heißt, eine Frau zu sein.“
Genauso problematisch finde ich es, wenn sexuelles Selbstbewusstsein ausschließlich über stereotype Attraktivität und das Begehrtwerden definiert wird. Wer sich danach richtet, versäumt es, sein eigenen Begehren individuell festzulegen. Stattdessen werden Schemata dessen übernommen, von dem andere behaupten, es sei ein unumgehbares Signal sexueller Selbstsicherheit. Dabei bin ich erstaunt, wie viel Unsicherheit und Unerfahrenheit hinter mancher aufgebretzelten Auslage liegt. Und das schränkt in doppelter Hinsicht ein, denn im Grund soll das schön und sexy Schein bleiben, während tatsächliches Selbstbewusstsein kaum jemand ertragen kann. Am allerwenigsten die Medien. Denn das hieße auch, sich selbstbewusst gegen Pornos und BlowJobs auszusprechen, wenn es nun mal auf der eigenen Liste keinen hohen Rang einnimmt. Früher hatte der Zwang zum Sexy-Sein mit dem Vorwurf „Sexismus“ noch einen ernst zu nehmenden Gegner. Aber heute, so argumentiert Walter sei es schwieriger, Sexismus als Argument zu nennen. Denn die Frauen, die wollen ja unbedingt ihre Brüste in die Kamera halten, heißt es. Sexismus agiert heute wie Guerilla-Marketing, aus dem Hinterhalt und subversiv und ohne wir uns versehen, müssen auch wir Feministinnen plötzlich den Schrank voller Sextoys haben, um der Befreiung sexueller Weiblichkeit nicht im Wege zu stehen.
Ob es deshalb der richtige Weg ist, jungen Frauen das vorzuwerfen? Warum nicht jedes Mal laut und an alle Adressen „Sexismus“ rufen, wenn die Mechanismen greifen, in denen Weiblichkeit und Sexy sein ins enge Korsett gesteckt werden, um mit flachem Atem der einzigen Möglichkeit auf Wahrnehmung entgegen zu hecheln.
Oder wie Anna North es auf jezebel angesichts der us-amerikanischen Teenagermädchen formuliert, deren Jungfräulichkeit besonders heiß verpackt wird:
Right now the average teenage girl in America is hearing that she’s pure and virginal and only wants love, but also that she’d better get on the pole if she wants to be „hot“ — she deserves to learn that she’s nobody’s madonna, and nobody’s whore, except her own.
„Denn ich trage einen roten Lippenstift auch mal, weil ich Lust darauf habe und stelle regelmäßig fest, dass es ein besonderer Tag sein muss, wenn alle Männer plötzlich so hilfsbereit und freundlich sind, bis mir einfällt, dass es nicht am Sonnenschein liegt, sondern an einem vermeintlich erotischen Signal meinerseits. Andersherum ist es extrem frustrierend an anderen Tagen, die ich in Schlabberpulli, Jeans und mit ungeföhnter Frisur verbringe, vollends ignoriert zu werden.“
die stereotypisierung passiert aber auch beim manne…
also ob mann heutzutage nicht auch gut gekleidet, rasiert/frisiert, usw. sein muss um von frau beachtung zu bekommen
die andere seite der münze
„Ob es deshalb der richtige Weg ist, jungen Frauen das vorzuwerfen? Warum nicht jedes Mal laut und an alle Adressen „Sexismus“ rufen, wenn die Mechanismen greifen, in denen Weiblichkeit und Sexy sein ins enge Korsett gesteckt werden, um mit flachem Atem der einzigen Möglichkeit auf Wahrnehmung entgegen zu hecheln.“
Was Männer schön zu finden haben und als begehrenswert betrachten und dementsprechend in den Medien und in der Disco ankommt haben weder du noch ich zu bestimmen, und hat auch nichts mit Sexismus zu tun.
Einen Mann der mir Sexismus vorwirft falls ich *meinen* Mann gerne leicht muskulös und mit gemachten Haaren habe, den würde ich auslachen. Genauso würde er eine Frau auslachen die ihm vorwirft Sexist zu sein weil er nun einmal Röcke und gepflegte Haare mag.
Es gibt übrigens genug Frauen die sich nicht sonderlich aufbrezeln müssen um männliche Aufmerksamkeit und Flirts zu bekommen, einfach weil sie von Natur aus überdurchschnittlich hübsch sind. Die kommen im Naturzustand in Jeans auch besser an als unterdurchschnittlich oder durchschnittlich aussehende Frauen mit Roch Stiefeln und Make-Up. Wenn man das Glück nicht hat und trotzdem nach männlicher Aufmerksamkeit dürstet, muss man sich halt mit der weiblichen Konkurrenz abfinden und selber auch was tun, anstatt von allen Frauen zu verlangen sich nicht mehr hübsch zu machen und schlabberig herumzulaufen.
PS: Im Patriarchat trägt man als Frau Ganzkörperschleier oder aber ist zugeknöpft und überall mit Stoff bedeckt. Es waren die Frauen die dies abschaffen wollten, nicht die bösen Männer denen du weiter oben zur Wichsvorlage gratulierst.
Ich glaube, bevor das hier zum Flamewar der Gerne-Aufbrezlerinnen
gegen die Gerne-Schlabbrigen ausartet: Ich glaube, hier sind die
Übergänge zwischen Sexismus und weiblicher Ausdrucksfreiheit
fließend. Mit Bauchgefühl kommt man da nicht weiter, auch nicht mit
Aufregen. Vielleicht sollten wir mal gemeinsam versuchen zu definieren,
was hier Selbstbestimmtheit und was Fremdbestimmtheit ist, oder
vielleicht erst mal, worüber wir hier eigentlich reden? Geht es um
Selbstbestimmtheit? Oder um die Frau als Sexobjekt? Um das
Ausufern von Sex in der heutigen Gesellschaft? Um Gleichberechtigung
(also z.B.: dann will ich auch Kalender mit nackten Männern aufhängen)?
Ich bin mir nicht sicher. Ist sich hier jemand sicher?
Nebenbei bemerkt darf man in diesem Zusammenhang neben den heterosexuellen Männern auch den homosexuellen Frauen zur Onaniervorlage gratulieren.
Stehen denn viele homosexuelle Frauen auf die, ich sage
mal, klassische Variante von Sexy?
Abgesehen von dieser interessanten Frage finde ich diesen
Aspekt ehrlich gesagt erst mal nebensächlich. Nicht weil ich
homosexuellen Sex nebensächlich finde, sondern weil dieser
in der Vergangenheit nicht im großen Stil als Machtinstrument
eingesetzt wurde. Denn darum geht es hier: nicht darum, dass
wir den Männern ihre Wichsvorlagen nicht gönnen. Sondern
um die Aufarbeitung der Tatsache, dass Frauen benutzt wurden
(und werden!) um sexuelle Bedürfnisse zu befriedigen, und zwar
nicht von gleich zu gleich, sondern vom (meist) männlichen
Benutzer auf die weibliche Benutzte. Das ist ein geschichtliches
Fakt, das wir bei der Frage nicht einfach ausblenden können.
Die Frage ist, wie gehen wir damit um? Ziehen wir uns ganz
aus der Rolle zurück, die uns in der Vergangenheit aufgedrängt
wurde? Definieren wir sie neu? KÖNNEN wir sie neu definieren,
ohne uns in alte Abhängigkeiten zu begeben? Ist genug Zeit
vergangen, um ohne Gefahr mit der Neudefinition beginnen
zu können? Ich denke, es ist ganz wichtig, dass wir das diskutieren,
aber mit Geschichtsbewusstsein, und analytisch. Nur mit Argumenten
wie ‚ich bin gerne sexy‘ kommen wir nicht weiter. Es geht hier
schließlich nicht darum, irgendwem was abzugewöhnen, sondern
die Gesellschaft zu verändern.
Das Problem scheint mir ein grundsätzliches zu sein. „Sexy sein“, also sexuelle Attraktivität für andere beruht doch entweder auf körperlicher oder auf geistiger Attraktivität. Letztere setzt jedoch voraus, dass sich die entsprechenden Personen kennen. Ohne diese Voraussetzung ist der einzig mögliche Parameter die äußerliche Erscheinung und sexuelle Attraktion knüpft sich m. E. an die Präsentation des Körpers (oder im Speziellen der Geschlechtsteile). Und hier wird das ganze zu einem Problem der Zielgruppe. Wer für möglichst viele Menschen attraktiv sein will, muss sich eben am kleinsten gemeinsamen Nenner orientieren – was ja durchaus üblich ist, nicht nur für Frauen gilt und kein Phänomen der Moderne ist (im 12. Jahrhundert hat soweit ich mich erinnere die Männermode die Geschlechtsteile besonders betont).
Ich fürchte eine Emanzipation kann nicht darin bestehen, der Gesellschaft ihre Sexualisierung austreiben zu wollen (wer will das überhaupt?), sondern nur darin, jede(n) einzelne(n) darin zu bestärken, bewusst die persönliche Entscheidung zu treffen, ob man einem Massengeschmack folgen und um billigen Beifall buhlen will, oder eben nicht. Das aber ist dann eine Frage, die beide Geschlechter gleichermaßen trifft.
Ben: prinzipiell hast du ja recht, aber ich würde wirklich nicht
die Machtfrage und die Geschichte ausblenden. Das muss
zusammen diskutiert werden. Und was die persönliche
Entscheidung angeht: natürlich können wir alle unsere persönlichen
Entscheidungen treffen, aber das tun wir eben nicht im luftleeren
Raum, sondern hier in unserer Gesellschaft, in der (nur z.B.)
einen von jedem Plakat ein paar Titten anlacht, in der die ganze
Öffentlichkeit kein schöneres Thema kennt als den Ausschnitt der
Bundeskanzlerin, und in der immer noch so ein leises ’selbst schuld‘
die 17jährige umweht, die sexy aufgedonnert von der Disko kommend
vergewaltigt wird.
Verena,
Cry me a river. Kleider machen Leute, don’t judge a book by its cover… ist doch die vermutlich älteste Beschwerde der Welt. Nicht nur von Frauen. Ich fänd’s auch besser, wenn fremde Frauen Gedankenlesen könnten und mich völlig unabhängig von dem, was ich darstelle einfach nur für das lieben würden, was ich bin. Funktioniert so halt nicht. Wir kommunizieren auch über Kleidung und Auftreten. Aber ich finde es immer wieder großartig, wenn Frauen definieren wollen, was Männern zu gefallen hat und was nicht…
Da wir das Thema ja gerade vor einer Woche oder so hatten, verweise ich mal auf meinen Kommentar im letzten Thread zum Thema problematische Definition von „Leistung“. Hier würde ich allerdings auch gerne noch mal anführen, daß ich mich ernsthaft frage, wieso auf einem feministischen Blog Frauen offenbar jede kritische Intelligenz ihrer (medialen) Umwelt gegenüber abgesprochen wird. In meiner persönlichen Erfahrung sieht es eher so aus, daß sich Frauen (wie Verena) über den vermeintlichen Sexismus beschweren als daß sie sich davon besonders beeinflussen lassen. Die meisten kümmert das Plakat ob der ohnehin vorhandenen Reizüberflutung ohnehin nicht. Aus dem gleichen Grund ist das H&M Plakat auch keine Wichsvorlage (mehr). Das wäre es vielleicht „1820“ gewesen.
Kapier ich nicht. Was ist mit der Freiheit anders denkender? Wieso sollte meine oder Deine individuelle Präferenz für oder gegen Porno dafür entscheidend sein, was andere gut finden?
Wo ich Dir zu 100% Recht gebe ist die „oversexed and underfucked“-Situation in den USA – aber auch hier. Allerdings sehe ich darin eher die Konsequenz eines negativen Sexualdiskurses – die „sexuelle Befreiung“ endete mit dem Radikalfeminismus in den 70ern und dann mit der konservativen geistig-moralischen Wende in den 80ern. AIDS tat ein Übriges. Und mittlerweile ist der gesellschaftliche Diskurs über Sex doch im Wesentlichen beschränkt auf Internetzensur. Ich denke, wenn wir einen besseren – positiveren – Sexualdiskurs hätten, würde sich das Verhältnis von oversexed und underfucked verbessern.
Was sich allerdings nicht so einfach verändern läßt, ist die Versingelung: Unsere Generation hat vielleicht mehr Sexualpartner als vorhergehende Generationen, aber insgesamt vermutlich weniger Sex, denn der findet meistens in festen Beziehungen statt. Ich kenne jede Menge Leute, die seit Jahren keine längere Beziehung haben. Und vier One-Night-Stands pro Jahr können *das* Defizit nicht ausgleichen. Auch das ist ein Punkt hier: Sexuelles Signaling ist bedeutender, *weil* immer mehr Menschen auf der Suche sind.
Wenn man Sex hat muß man nicht so tun, als ob man ihn hätte. Und wenn man in einer Beziehung – gleich welcher Form – ist, bekommt man/frau ihn auch in Schlabberklamotten.
@jj: Dem ist nichts hinzuzufügen. Ich finde, die Diskussionen, die hier gerade entstehen, gehen eigentlich komplett an der Realität vorbei.
Zum Artikel selbst kann ich nur sagen: Das ist (d)eine Meinung.
Ach ja, Morjanne, und was Realität ist, weißt du, und die anderen
Diskussionsteilnehmer nicht. Vielleicht könntest du uns ja mal
aufklären, was die Realtität ist.
Ich finde es wirklich erschreckend, wie immer so getan wird, als
würden wir alle völlig ohne Bezug zur Vergangenheit und zum Rest
der Gesellschaft unsere freien Entscheidungen treffen. Realität ist
für jeden was anderes, aber es wäre wünschenswert rauszufinden,
wie die verschiedenen Realitäten zustandekommen, und warum sich
z.B. Verena von H&M-Plakaten angegriffen fühlt, während jj sich
immer beschwert, dass ‚die Frauen‘ angeblich keine zivilisierten
Männer mögen.
Immerhin, jj hat seine Sicht der Dinge mal dargelegt, was sehr
interessant ist, wenn ich auch in den meisten Dingen nicht mit
ihm übereinstimme. Zum Beispiel hierbei:
Wenn es darum geht, Männern an UNS FRAUEN gefällt, dann
geht uns das sehr wohl was an, und ich finde es sehr berechtigt,
wenn wir das beeinflussen wollen. Wir haben uns lange genug
verbogen, um dem gängigen Schönheitsideal (oder sonstigen Idealen)
zu entsprechen. Und bevor du damit kommst, dass Männer sich auch
verbogen haben: Nicht in dem Ausmaß, nicht dermaßen verkrüppelnd.
Es waren Frauen, die ihre Hirnfunktionen auf ein Mindestmaß beschränken
mussten, um nicht als unattraktive Blaustrümpfe zu gelten. Und es sind
Frauen, die ihre Muskeln verkümmern lassen und sich fast zu Tode
hungern, weil ‚dünn‘ schick ist. Die Einschränkungen, die die Mode den
Männern auferlegt, ist dagegen relativ harmlos.
@ Morjanne und eigentlich @ alle hier – ich persönlich fühle mich keineswegs von H&M Plakaten angegriffen! Ein Großteil der Thesen in diesem Text stammen von den Aussagen Walters. Vielleicht lest ihr noch mal die verlinkten Artikel, um die Passagen hier besser einorden zu können.
Katharina,
Moden zu beeinflussen (den Versuch zu unternehmen) ist vollkommen legitim. Mir ging es mehr um den dabei verwendeten Ansatz – hier geht es um „sexual policing“ und den Anspruch bestimmte ästhetische Vorlieben zu moralisieren – Männer mögen keine haarigen Beine? Sexismus! Männer mögen lieber schlanke Frauen? Sexismus! Männer mögen High-Heels? Sexismus! Das nervt. Wenn Frauen für (angenommene) Vorlieben so angegriffen würden – schließlich finden Frauen die meisten Männer ohnehin häßlich…
http://blog.okcupid.com/index.php/page/3/
„Zivilisierte“ Männer? Was meinst Du denn mit zivilisiert? Das habe ich *so* wohl kaum behauptet… zumeist habe ich bemerkt, daß Frauen bei Männern deutlich mehr auf Status (auch finanziell) achten, was zur Zementierung gesellschaftlicher Strukturen führt (wobei ich auch Indizien anführe, die gegen meine These sprechen: http://www.nytimes.com/2010/01/24/fashion/24marriage.html?pagewanted=1 .
Eine andere Baustelle ist die – „Frauen mögen Arschlöcher“ oder „nice guys finish last“. Beides Stereotype sind klassische Mythen: Irgendwas ist dran, sonst würden sie sich nicht halten, aber was genau ist eben kompliziert zu identifizieren. Ein analytisch ordentlicher Versuch ist der hier:
http://www.feministcritics.org/blog/2010/01/04/do-nice-guys-finish-last-noh/
Außerdem bemängele ich hin und wieder, daß die individuellen tatsächlichen Präferenzen von Frauen häufig von ihren verbalisierten (rationalisierten und am angenommen gesellschaftliche gewollten ausgerichteten) Aussagen abweichen. Wenn’s drauf ankommt zählen Worte nicht so viel wie Taten.
Mode – ja. Aber um Mode allein geht es hier ja nicht. Sondern um einen Rückfall in die „Sex-Class“ Argumentation, die sich eben genau dadurch auszeichnet, bequemerweise alle anderen Dimensionen der Realität auszublenden, um dann rumpoltern zu können.
Ansonsten: „The grass is always greener on the other side.“
(Vor dem ersten Kommentar, den ich hier poste, Mini-Vorstellung: Ben, 21, Student Philosophie/Sprechwissenschaft, emanzipatorischer Anspruch, kann mit dem Label „Radikalfeminist“ ganz gut leben.)
Ich erlaube mir mal, auf den Artikel zurückzugreifen, aber ich habe die Diskussion gelesen und freue mich, dass sie zivilisiert und in meinen Augen recht fair abläuft, obwohl Dinge strittig sind.
Ich finde den Punkt wichtig, dass Sexismus heute subtiler ist als früher. Was Menschen an Rollen aufgedrückt wird, ist weniger starr als früher, aber dadurch nicht weniger repressiv: Ob ich nur ein Rollenbild erfüllen darf oder ob es fünf sind, die sozial akzeptiert werden, ist nur ein gradueller Unterschied, kein kategorialer. Mir ist dazu mal der Begriff „bunte Norm“ eingefallen – keine graue Norm mehr, aber Norm nichtsdestotrotz.
In der Diskussion sind mir verschiedene Dinge aufgefallen:
Ich bin mit Katharina insofern einer Meinung, dass keine_r völlig frei handelt von Einflüssen des sozialen Umfelds und des historischen Hintergrunds.
Das heißt aber in meinen Augen nicht, dass wir nicht darüber diskutieren können, ob bestimmte Geschmacksvorlieben in sich sexistischer Natur sind. Wenn ein Mensch rasierte Beine attraktiv findet, ist das eine legitime Vorliebe, wenn aber alle Menschen rasierte Beine attraktiv finden SOLLEN, dann sind alle Beteiligten unfrei, einschließlich derjenigen, die diese Vorliebe antrainiert bekommen haben.
Aber selbst, wenn eine Vorliebe vorherrscht (das „herrscht“ ist hier wichtig!), ist es meiner Meinung nach möglich, diese Vorliebe zu haben, ohne dabei Hierarchien zwischen Leuten herzustellen, die sie erfüllen, und solchen, die es nicht tun. Kurz gesagt: Mensch kann eine Vorliebe haben, ohne Normativität hineinzudenken.
Das ist natürlich nur die individuelle Seite der Medaille – der Druck, bestimmten ästhetischen Vorstellungen zu entsprechen, entsteht, wie ich es sehe, unabhängig von genuin individuellen Geschmacksvorstellungen. Ich finde diese Unterscheidung bedeutsam, denn mit ihr, so meine ich, lässt es sich vermeiden, dass wir Geschmack mit zu viel Normativität aufladen.
Eine gute Zielrichtung fände ich in Sachen Ästhetik, daran zu arbeiten, dass mehr Leute ästhetische Vorstellungen ohne Befehlsdruck denken, das heißt, dass die Reform des Geschmacks auf sein Zustandekommen abzielen sollte, und nicht auf seine Inhalte.
Wie seht ihr das? Ich bin unerfahren in diesem Feld, daher kann es sehr gut sein, dass ich etwas übersehe.
Ich habe leider das Gefühl, dass auch hier in den Kommentarsektionen, die ich im Vergleich zum Restinternet meist als Hort des fairen Diskurses empfinde, manchmal Fronten der Auseinandersetzung entstehen, die so nicht sein müssten (gesetzt den Fall, ich verstehe sie richtig).
Das mag jetzt als kuschlig-weicher Harmonieaufruf wirken, aber dennoch: Ich bin der Meinung, dass wir stets im Hinterkopf behalten sollten, dass wir, was immer unsere gender- und sexuelle Identität ist, gemeinsam an der Emanzipation arbeiten. Der „Geschlechterkrieg“ (blödes, blödes Wort) war in meinen Augen an einem bestimmten historischen Punkt als initiales Attackieren männlich dominierter, verkrusteter Strukturen notwendig, aber ich glaube nicht, dass dieses Konzept das Potenzial hat, die Emanzipation langfristig voranzubringen. (Ganz abgesehen davon, dass ich persönlich überhaupt keine Lust habe, unnötig gegen irgendwelche zu kämpfen, am allerwenigsten gegen die, die sich die Mühe machen, auf diesem Blog zu schreiben und mitzudiskutieren. ;-) )
Hallo, habe eure Kommentare (Meinungen) gelesen. Ich bin hier auf dieser Seite gelandet, weil ich in regelmäßigen Abständen irritiert und leider auch wütend bin aufgrunddessen, was ich im Alltag so beobachte.
Ich bin der Meinung, dass es einen Sexismus gibt, wohl in einem anderen Gewand. Kann man aber erwarten, dass eine nahezu 3000 jährige „Angewohnheit“ innerhalb der (westlichen) Gesellschaft sich in 50 Jahren ändert? Ich frage mich manchmal, wie es wäre 50 oder 150 Jahre später zu leben. Weil ich mich, obwohl in einer freiheitlichen westlichen Gesellschaft lebend, nicht wohl fühle mit den Umständen, die mir als Frau (und vielleicht in Zukunft als Mutter eines Sohnes, bei dem ich jetzt schon überlege, wie er umgeben von frauenfeindlichen Alltäglichem nicht unbewusst eine sexistische Einstellung adaptiert) immer wieder begegnen.
Dabei ist die Alternative zum westlichen Sexismus nicht das stilisierte Patriarchat, wie oben in einem Kommentar beschrieben, mit seinem Verhüllungsgebot und dergleichen für die Frau. Wo bleiben die Farbnuancen dazwischen?
Es ist schwierig für mich, Verständnis für die Männer aufzubringen, die sich über die Bemühungen, Frauen mehr gesellschaftliche Teilhabe zukommen zu lassen (durch z.B. Frauenquote oder ähnliche Frauenförderung), aufregen, ja sogar lustig machen. Und dann lesen wir Vowürfe, Männer würden benachteiligt. Wieso? Es sind Bemühungen, um einen Misstand aus dem Weg zu räumen: dass Frauen bis vor wenigen Jahren in vielen Bereichen der Gesellschaft einfach kategorisch und mit vehementem gesellschaftlichem Druck der Führenden (hauptsächlich Männer) in ihrem eigenen Leben gefangen gehalten wurden. So wie z.B. bis in die Siebziger der Ehemann bestimmen konnte, ob die Ehefrau finanziell auf eigenen Beinen stehen darf.
Diese o.g. Bemügungen sind, so wie es der Name sagt, Bemühungen, das heisst, sie dürfen konstruktiv kritisiert werden, aber es ist allzu deutlich -und das ist sehr schade-, dass diese Kritik häufig im Grunde getarnter Seximus ist. Natürlich ist es ungemütlich für die Männer, wenn der Mann als Ultimo nicht mehr existiert. Natürlich sehen sich viele Männer diese „guten alte Zeit“ zurück, in der sie uneingeschrenkt herrschten (oder von anderen Männern beherrscht wurden).
Jeder denkt zunächst an sich.
Ich habe verschiedenste Männer jeglich Coleur kennengelernt, den Chauvi wie den, der sich als Teil einer modernen gleichberechtigten Gesellschaft versteht. Mir ist dabei aufgefallen, dass auch in dem, mit den besten emanzipatorischen Absichten, gesellschaftlich „gänginge“ sexistische Bilder und Vorstellungen aktiv sind, das heisst sein Handeln und Denken bestimmen. Der Unterschied zum Chauvi ist, dass letzterer sich dessen bewusst ist.
Darauf hingewiesen reagieren die „modernen“ Männer empört, wie könne man ihnen so etwas nur unterstellen. Dabei ist es bloße Beobachtung. Undzwar die Beobachtung, dass gerade weil erst vor kurzer Zeit ein gesellschaftlicher Wandel angestoßen wurde, das Thema Sexismus weder auf Makro-(Gesamtgesellschaft) und gerade deswegen häufig nicht auch auf Meso-(soziales Umfeld) oder Mikroebene (Individuum) bereits kein Thema mehr ist. Veränderungen brauchen Zeit. Und vor allem Taten. Und das ist der Grund wieso ich mit dem Untertitel des Buchs von Natasha Walter „Die Rückkehr des Sexismus“ nicht übereinstimme. Er war nämlich nie weg. Er hat sich nur verändert.
Und deswegen verstehe ich die Diskussionen, um den Sexismus in Medien, der Arbeitswelt und anderswo.
Wieso ist es so schlimm, dass Frauen (endlich dürfen sie’s), ihren Unmut kundtun über das, was und wie „Frau“ sein soll? Wäre es nicht konstruktiver, mal genau hinzuhören? Was genau ist es, dass sie nicht sind, sein wollen? Schließlich geht es um sie. Schwieriger finde ich es, wenn auch hier Männer darüber urteilen/betimmen wollen, womit sich Frauen wohlfühlen (soll[t]en). Natürlich wird hier jede andere Vorstellungen haben. Es geht ja nicht darum eine Einheitsmeinung zu generieren, sondern darum, dass die Frauen nicht daran gehindert werden, so zu leben, wie sie es selbst wollen. Nicht wie sie es sollten, weil es das andere Geschlecht so für angenehm hält.
Dies gilt aber nicht nur für die Männer. Auch wenn es nicht der richtige Weg für mich ist, durch mehr Haut, Aufmerksamkeit (was leider häufig mit Zuneigung verwechselt wird) bekommen zu wollen, verurteile ich die Frauen, die es tun, nicht dafür. Denn sie sind es, die primär mit den Folgen umgehen müssen (Was ich meine ist, meine Erfahrung, dass genau diese Frauen sich häufig beklagen, Männer würden sie auf ihr Äusseres reduzieren). Aber nicht nur sie selbst müssen mit den Folgen umgehen, das wäre zu kurz gesprungen. Auch auf Frauen, die nicht den Effekt nackter Haut (be)nutzen, hat dies einen Einfluss. Z.B. wie oben in einem Kommentar genannt, sind sie in der Meinung mancher Männer prüde, weil sie bevorzugen, dass man ihnen in die Augen sieht im Gespräch und nicht auf das Dekoltee („ihr Frauen wollt das doch“ heisst es dann so oft).
Ja, mich stört das. Wenn ich mich unterhalte, will ich mich unterhalten und nicht alle fünf Minuten als spermageiles Dreilochstute fantasiert werden oder die männlichen Arbeitskollegen untereinander meine berufliche Qualifikation mit „Die kann bestimmt gut blasen.“ oder meine Fachkritik mit „Die hat ihre Tage.“ oder „Der muss mal jemand richtig einen besorgen.“ kommentieren. Wenn der Mann kurz vorm Orgasmus steht, beginne ich ja auch nicht mit ernstem Ton eine Grunsatzdiskussion mit „Wieso sehen Männer eigentlich so lächerlich aus, wenn sie einen Orgasmus haben?“ (nicht so gemeint, es geht mir eher um einen passenden Vergleich).